Zum Inhalt springen

Teil 1: Die Geschichte der Matriarchatstheorie

  • von
Die Geschichte der Matriarchatstheorie ist vielschichtig und lang. Aber eins nach dem anderen: Was heißt Matriarchat denn eigentlich? Matriarchat bedeutet einfach übersetzt “Mutterrecht”, wird allerdings oft sehr unterschiedlich verstanden. Zum Beispiel als Gesellschaftsform, in der Frauen die meiste Autorität und Macht haben, oder in der das Eigentum Frauen gehört und von diesen an die Kinder weitergegeben wird, anstatt von Männern. Woher die Fachbegriffe kommen, die für die Matriarchatstheorie wichtig sind und welche Bedeutung sie haben, wird im Folgenden erklärt.

Begriffserklärung

Um die Diskussion um das Matriarchat verstehen zu können, müssen wir zurück zum Anfang. Nicht in die Urgesellschaft, sondern zurück ins 19. Jahrhundert. Denn dort entsteht in der bürgerlichen Gesellschaft die Matriarchatsidee/-theorie, so wie wir sie heute kennen. Bevor es den Begriff des Matriarchats gab, wurde von Gynaikokratie gesprochen. Gynaikokratie bedeutet wörtlich “Frauenherrschaft” (abgeleitet aus dem Griechischen “gynê” = Frau und “kratein” = herrschen). Während der Begriff Gynaikokratie ursprünglich abwertend gemeint war und beispielsweise mit dem Kontrollverlust über Frauen und Sklav*innen in der antiken Gesellschaft gleichgesetzt wurde, so wurde der Begriff in der frühen Neuzeit für die Diskussion über politische Rechte von Frauen genutzt. 

Der eigentliche Begriff des Matriarchats ist ein in der frühen Neuzeit (ca. 1500 bis ca. 1800) kreierter Kunstbegriff (Wagner-Hasel 2019, 211).  Matriarchat bedeutet wörtlich übersetzt so viel wie „Mutterherrschaft“ (abgeleitet vom lateinischen Begriff “mater” = Mutter und dem griechischen Wort “árchein” = anfangen, herrschen). Verwendet wurde er als Abgrenzung zum bis dahin genutzten Begriff Gynaikokratie. So wird aus “Frauenherrschaft“Mutterherrschaft” und somit eine erste Schwächung und Relativierung der Begrifflichkeiten. Denn während Gynaikokratie (Frauenherrschaft) eine umfassende Herrschaft der Frau bedeutet, beschreibt das Matriarchat (Mutterherrschaft) eigentlich lediglich die Herrschaft der Frau in der Familie und keinesfalls im Staat (Wagner-Hasel 2019, 212).  Die Begriffe werden heute oft synonym verwendet.

Tatsächlich war lange Zeit vor allem von “Mutterrecht” die Rede, “Matriarchat” (oder Herrschaft der Mütter) ist erst sehr viel später als Begriffe erschienen (Andrej 1998, 108). 

Das Konzept oder die Idee des Patriarchats stammt ebenfalls aus der frühen Neuzeit und bedeutet übersetzt “Vaterherrschaft”. Ursprünglich wurde der Begriff im Kirchenrecht verwendet und bezieht sich auf den sogenannten “Patriarchen”, also das Kirchenoberhaupt. Genutzt wurde der Begriff des Patriarchats und das damit gemeinte Konzept der väterlichen Autorität unter anderem im staatlichen Diskurs zur Begründung der absoluten Gewalt des Königs. Der König spielte im Staat demnach eine ähnliche Rolle wie ein Vater in der Familie, was seine absolute Herrschaft rechtfertigen sollte. Das Patriarchat wird außerdem auf die “göttliche Autorität Adams” als ersten Vater der Menschheit zurückgeführt. Somit wird das Patriarchat in der frühen Neuzeit als natürlich und von Gott gegeben dargestellt und so die “Vaterherrschaft” nicht nur in der Familie, sondern auch im Staat begründet (Wagner-Hasel 2019, 212).

Weitere Begriffe, wie beispielsweise Patrilinearität oder Matrilinearität, sowie Matrilokalität und Patrilokalität gehen ebenfalls auf die frühe Neuzeit zurück, allerdings unter der Bezeichnung Mutterrecht und Vaterrecht. Genutzt werden die Begriffe vor allem in der Ethnologie und Anthropologie, um Verwandtschaftssysteme zu beschreiben und zu kategorisieren. Beispielsweise an welchem Ort Paare nach der Eheschließung leben, wie die Abstammung geregelt ist oder wer das Recht hat, zu erben. In matrilinearen Systemen wird die Zugehörigkeit zur Familie und die Abstammung über die mütterliche Linie bestimmt. Während in patrilinearen Systemen die väterliche Linie maßgeblich ist. Ausgedrückt wird dies in Mitteleuropa beispielsweise darüber, wer nach der Eheschließung welchen Nachnamen annimmt. Demselben Schema folgend, wird in matrilokal organisierten Gesellschaften nach der Ehe in der Nähe oder mit der Familie der Frau gelebt. Dahingegen findet in patrilokal organisierte Gesellschaften das Leben bei oder in der Nähe der Familie des Mannes statt (Wagner-Hasel 2019, 212-213).

Die Ursprünge der Matriarchatstheorie

Die Frage nach geschlechtsbezogenen Hierarchien, also dem Patriarchat und vor allem dem Matriarchat in der Vorgeschichte, ist seit jeher politisch aufgeladen. Berichte über matriarchal organisierte Gesellschaften gibt es schon seit der Antike. Die Geschichten über das “Frauenreich der Amazonen”, waren schon im 19. Jahrhundert bekannt. Dasselbe gilt für die Berichte von griechischen Historikern über Gesellschaften, deren Abstammung über die mütterliche Linie geregelt sei. Trotzdem wurde in Mitteleuropa das Patriarchat als einzige “natürliche” und “von Gott gegebene” Gesellschaftsordnung nie hinterfragt. Erst als im Laufe des 18. und 19. Jahrhunderts, in der westlichen Wissenschaft, immer mehr Gesellschaftsformen bekannt wurden, welche sich nicht-patriarchal organisierten, wurde diese Annahme langsam in Frage gestellt. Denn durch den Kolonialismus, sowie Forschungs- und Missionsreisen wurden Europäer*innen immer häufiger mit nicht-patriarchalen Gesellschaftsformen konfrontiert. Matrilinearität, Matrilokalität, die Vererbung über die weibliche Linie, sowie die zentrale Stellung von Frauen in weiteren gesellschaftlichen Positionen waren nun nicht mehr eine vergangene Illusion. Ein prägnantes Beispiel hierfür sind die Jesuitenberichte, in denen jesuitische Missionare ihre Erfahrungen mit den Indigenen und deren Gesellschaften in Nordamerika im 17. Jahrhundert schildern (Graeber/Wengrow 2021, 59-62). Die “Natürlichkeit” des Patriarchats, welches angeblich seit Anbeginn der Zeit existierte, wurde nun doch hinterfragt. Menschen begannen erstmals Gesellschaftsordnungen als weder natürlich, noch “von Gott gewollt”, sondern von Menschen erschaffen anzusehen (Röder u. a. 2001, 18). 

Dieser Angriff auf die soziale Ordnung hatte nun zur Folge, dass das Matriarchat nicht mehr als Anomalie betrachtet werden konnte. Aber als gängige Form der gesellschaftlichen Organisation, die gleichwertig neben dem Patriarchat und anderen Gesellschaftsformen existierte, konnte es nach Auffassung der damaligen Gesellschaft auch nicht gelten. So wurde das Matriarchat ausschließlich “primitiven” Gesellschaften zugeschrieben und auf Grundlage evolutionistischer Theorien ausschließlich der Vergangenheit oder vermeintlich weniger entwickelten Gesellschaften zugeordnet. Das Patriarchat galt in diesem Fall als erstrebenswerte Weiterentwicklung. Johann Jakob Bachofen war einer der ersten Vertreter, der das Matriarchat als primitive Gesellschaftsform verstand (Röder u. a. 2001, 16-19).

Die Anfänge des Mutter- und Vaterrechts bei J. J. Bachofen (19. Jahrhundert)

Aber wer ist Bachofen und warum ist er so wichtig, um die Geschichte des Matriarchats zu verstehen?
Der Jurist und Altertumsforscher Johann Jakob Bachofen gilt als einer der Begründer der modernen Matriarchatsdiskussion. Besonders von Bedeutung ist sein 1861 erschienenes Werk “Das Mutterrecht. Eine Untersuchung über die Gynaikokratie der alten Welt nach ihrer rechtlichen und religiösen Natur“. Darin prägte er nicht nur erstmals die Begriffe “Vaterrecht” und “Mutterrecht”, sondern verortete auch die Gynaikokratie, also die “Frauenherrschaft” in der Frühgeschichte und Antike. In der Folge war die Idee eines Matriarchats in der Vorgeschichte geboren (Wagner-Hasel 2019, 212).

Johann Jakob Bachofen (https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Jakob_Bachofen
#/media/Datei:Johann_Jakob_Bachofen.png)

Bachofen selbst deutete dieses Frühstadium der Menschheitsgeschichte mit dem Mutterrecht als eine Vorstufe zur vaterrechtlichen Kulturperiode. Darin sah er das Eintreten der Menschheit in den Kulturzustand. Insgesamt kann gesagt werden, dass das Konzept von Bachofen auf einer stark evolutionistischen Idee basiert (Fehlmann 2010, 266). Evolutionismus heißt:  Darwins Evolutionstheorie angewendet auf die Sozialwissenschaften. Das bedeutet, dass man für menschliche Gesellschaften verschiedene Entwicklungsstufen annimmt, die aufeinander aufbauen. Dabei beginnt man meist mit der Wildheit als der niedrigsten Stufe, gefolgt von der Barbarei, und an der Spitze steht dann die Zivilisation. Diese Ideologie geht davon aus, dass sich menschliche Gesellschaften immer stufenweise hin zu einer höheren Ordnung entwickeln. 

Bachofen entwarf auf Grundlage dieser Idee ein Stufenmodell für Familie und Ehe. Das “Mutterrecht” (Matrilineariät und Matrilokalität) war für ihn eine “primitive Entwicklungsstufe” welche schließlich von der Vaterherrschaft” (Patrilinearität und Patrilokalität) abgelöst wurde. Die Mutterrechtliche Periode galt es nach Bachofen zu überwinden. Das “Vaterrecht“ ist für Bachofen nun also nicht mehr nur Teil der privaten Sphäre, sondern ein Rechtssystem, das auf der Anerkennung des biologischen Vaters basiert. Als Grund für den Übergang vom “Mutterrecht” zum “Vaterrecht” sieht Bachofen einen Wandel der Religion (Wagner-Hasel 2019, 213). Er sah “demnach [eine] Entwicklung vom weiblichen zum männlichen Prinzip, vom Stoff zum Geist, von der Natur zur Kultur” (Röder 1998, 300).

Bachofen war für seine Zeit keineswegs fortschrittlich, sondern hatte eine vor allem konservative und patriarchale Sichtweise. Er war der Sohn einer reichen, alteingesessenen Patrizierfamilie und gehörte somit zur bürgerlichen Oberschicht Basels. Er war nicht nur rückwärtsgewandt in seinem Denken, sondern ein “konvervativer, religiöser Bürger, dem die wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen seiner Zeit sauer aufstießen” (Röder u. a. 2001, 25). Die Matriarchatsdiskussion gründet also nicht auf einer feministischen Idee, sondern auf einer evolutionistischen Grundlage, bei der der Mensch mit dem Patriarchat von der “primitiven” Lebensweise “in die Kulturperiode” eintrat. Demnach gab es einen “Fortschritt” von der Natur und dem weiblichen Urzustand hin zur Kultur und dem männlichen Prinzip. Ziel von Bachofen war es, die Funktion der Männerherrschaft für seine Zeit zu legitimieren und die geltenden Familienkonstellationen und Geschlechterverhältnisse aufrechtzuerhalten, nicht sie anzugreifen (Andrej 1998, 108; Röder u.a. 2001, 25).

Eine Besonderheit seines Arbeitens war außerdem, dass er, anders als die Geschichtswissenschaften seiner Zeit, die Vergangenheit intuitiv verstehen wollte und eher wenig von der kritischen Auswertung von Quellen hielt. Dies wurde von Historiker*innen scharf kritisiert. Vor allem sein Verständnis von Mythos als Geschichte: Er sah mythische Überlieferungen als reale Überlieferung und zog den Mythos als historische Quellen heran (Andrej 1998, 77). In den darauffolgenden Jahrzehnten blieb das Werk von Bachofen wirkmächtig. Es verleitet bis heute zu unterschiedlichen Vorstellungen des Matriarchats als Urzustand und damit dem “vorpatriarchalen” Abschnitt der Menschheitsgeschichte. Isabella Andrej merkt an, dass die Widersprüche in Bachofens Werk und die Darstellung der Mutterrechtsidee es den Lesenden erlauben, ihre eigenen Vorstellungen einzubringen, was zu einer Mischung aus Utopie und Göttinnenkult geführt hat, die bis heute in vielen Köpfen präsent ist (Andrej 1998, 108). In den weiteren Kapiteln gehen wir hierauf noch genauer ein. 

Die “Friedliche Urgesellschaft” und der “Urkommunismus” 

In der sogenannten Aufklärung (ca. 1650 bis 1800) entwickeln sich in Mitteleuropa zwei gegensätzliche Grundannahmen über die menschliche Natur – einerseits der Gedanke, dass der Mensch von Natur aus gut und frei sei (Jean-Jacques Rousseau), und andererseits die Vorstellung, dass der Mensch von Natur aus egoistisch und gewalttätig ist (Thomas Hobbes). Das sind zwei konträre Positionen, die den gesellschaftlichen, politischen und wissenschaftlichen Diskurs stark beeinflussen. Beide Annahmen haben Konsequenzen für die Art und Weise, wie Gesellschaften strukturiert sind und wie politische Systeme gerechtfertigt werden (Graeber/Wengrow 2021, 14f). Sie haben aber auch Auswirkungen darauf, wie wir uns als Archäolog*innen, Lebensbereichen vorgeschichtlicher Gesellschaften annähern können, die sich nicht direkt aus dem archäologischen Befund ableiten lassen. Umso weniger wir wirklich wissen, umso mehr spielen diese Grundannahmen eine Rolle.

Auf der einen Seite steht das pessimistische Menschenbild von T. Hobbes, das den Menschen als von Natur aus egoistisch, gewalttätig und in einem ständigen Kampf um Macht und Überleben beschreibt. In seinem berühmten Werk “Leviathan” stellt Hobbes den Naturzustand des Menschen als „Krieg aller gegen alle“ dar, wo das Leben „einsam, armselig, ekelhaft, tierisch und kurz“ sei. Um eine Zivilisation zu ermöglichen, ist es folglich die Aufgabe des Staates, den Menschen zu kontrollieren. Demgegenüber steht die Idee von J.-J. Rousseau, in der der Mensch in einem ursprünglichen Naturzustand friedlich und frei war, bevor ihn die Gesellschaft moralisch verdarb. Diese Theorie war von ihm eigentlich als Gedankenexperiment gedacht und wird oft als Grundlage für die Theorie des Urkommunismus oder einer egalitären Urgesellschaft verwendet (Graeber/Wengrow 2021, 24). Rousseau idealisierte den „edlen Wilden“ und stellte sich vor, dass Menschen in einem Zustand der Natur keine Notwendigkeit für Besitz oder Hierarchien hatten und in Harmonie miteinander lebten. 

Die beiden Grundannahmen basieren auf vereinfachten, idealisierten oder pessimistischen Vorstellungen des Menschen und seiner Geschichte. Beide beruhen ferner auf Modellen einer linearen Entwicklung, wodurch sie die Vielfalt und Komplexität menschlicher Gesellschaften ignorieren. Durch diesen Grundgedanken, insbesondere bei Hobbes, wird auch der Grundstein für ein koloniales Weltbild gelegt, indem man das industrialisierte Mitteleuropa auf eine höhere Entwicklungsstufe stellt, als kolonisierte Gesellschaften. Dies wird auch als Evolutionismus bezeichnet (siehe vorheriges Kapitel). 

Genau wie Bachofen beschäftigte sich der Jurist Lewis Henry Morgan mit dem Matriarchat und der damit verbundenen Entwicklung der Familie, bzw. dem Stufenmodell von Familienformen. Er vertrat denselben evolutionstheoretischen Ansatz, wonach das “Mutterrecht” vom “Vaterrecht” abgelöst wurde. Er stellt, genau wie Bachofen, die sogenannte “Gruppenehe” an den Anfang der Familienmodelle. Demnach soll die niedrigste Entwicklungsstufe (der Familie) eine ursprüngliche Promiskuität gewesen sein. Also die Praxis sexueller Kontakte mit häufig wechselnden Partner*innen und/oder mehrere Partner*innen zur selben Zeit. Der Unterschied von Morgan zu Bachofen ist, dass er nicht die Veränderung der Religion, sondern den Wandel von Eigentumsformen, also die Aneignung von Besitz, als verantwortlich für das Aufkommen des “Vaterrechts” sah (Wagner-Hasel 2019, 213). Diese beiden Stränge sind bis heute für viele Diskussionen prägend. 

So wurden die Werke von Bachofen und Morgan schließlich auch von vielen Linken rezipiert, darunter auch Engels. Er beschreibt in seinem Buch “Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats” (1884) die Zeit der “Wildheit” als “Urkommunismus”. In dieser Phase des “Urkommunismus” soll es weder persönlichen Eigentum, Familie oder Klassen gegeben haben (Hermand 1984, 653).  Engels folgt dabei den Theorien Bachofens und Morgans und verbindet sie mit dem Marxismus (Marxismus = politische Philosophie nach Karl Marx und Friedrich Engels). 

Nach Engels habe außerdem bereits in der Vorgeschichte eine “vollständige Revolution” stattgefunden, also eine grundlegende und weitreichende Veränderung der gesamten gesellschaftlichen Strukturen (Hermand 1984, 654). Er ist der Meinung, dass die Ablösung des Matriarchats durch das Patriarchat erst durch die Entstehung von Privateigentum und seiner Akkumulation (also die Verteilung von Produktionsmitteln oder Reichtum auf Einzelpersonen oder eine kleine Gruppe) möglich wurde. Dies soll vor allem auf Basis der Viehhaltung und des Ackerbaus stattgefunden haben. Würde man dieser Theorie folgen, müsste man nach Engels den Beginn des Patriarchats im Neolithikum und den darauffolgenden Phasen suchen. Die darauf folgende “Frauenunterdrückung” bringt Engels wie folgt auf den Punkt: “Der erste Klassengegensatz, der in der Geschichte auftritt, fällt zusammen mit der Entwicklung des Antagonismus von Mann und Weib in der Einzelehe, und die erste Klassenunterdrückung mit der des weiblichen Geschlechts durch das männliche” (Engels 1884 [1969], 68). 

Das „Mutterrecht“ wurde damals, basierend auf ethnologischen und archäologischen Studien, als die ursprüngliche Form der Gesellschaft verstanden, bevor Privateigentum und Erwerbsarbeit entstanden. Es wurde angenommen, dass in dieser frühen Gesellschaft Frauen eine zentrale Rolle spielten, insbesondere in Bezug auf Verwandtschaftsbeziehungen und die Organisation des sozialen Lebens. Die Fortschrittlichkeit, aber auch die Aspekte, die wir wissenschaftlich und geschlechtspolitisch heutzutage anders bewerten würden, zeigen sich in folgendem Zitat: “Kommunistischer Haushalt bedeutet aber Herrschaft der Weiber im Hause, wie ausschließliche Anerkennung einer leiblichen Mutter bei Unmöglichkeit, einen leiblichen Vater mit Gewissheit zu kennen, hohe Achtung der Weiber, d.h. der Mütter, bedeutet. Es ist eine der absurdesten, aus der Aufklärung des 18. Jahrhunderts überkommenen Vorstellungen, das Weib sei im Anfang der Gesellschaft Sklavin des Mannes gewesen” (Engels 1884 [1969], 53). 

In der marxistischen Theorie folgt auf den Urkommunismus die Sklavenhaltergesellschaft, die Leibeigenschaft und schließlich der Kapitalismus. Anhand der Erkenntnisse zum urkommunistischen Matriarchat wird untermauert, dass eine befreite Gesellschaft nur möglich ist, wenn die Frauen auch wieder von der Hausarbeit losgelöst werden. Diese Bindung hat Engels’ Meinung nach seinen Ursprung im Neolithikum. Wir wissen aber heute, dass der Ausschluss der Frau von der Produktivarbeit in der Regel nicht in ackerbäuerlichen Gesellschaften geschieht (da dort jegliche Arbeitskraft auf dem Feld gebraucht wird), sondern in bürgerlichen Gesellschaften, die die häusliche reproduktive Arbeit der Frauen benötigen, um die gesellschaftliche Arbeitskraft aufrechtzuerhalten (etwa bei den Kekchi Mayas: Wilk 1990, 39). 

Neben Engels beschäftigten sich noch weitere Linke wie beispielsweise August Bebel, Paul Lafargue und Heinrich Cunow mit dem ”Konzept der friedlichen und kommunistischen Mutterreiche” nach Bachofen und entwickelten es weiter. Zum Beispiel zitierte Bebel in seinem Werk “Frau und Sozialismus” (1885) Bachofen wie folgt: „Die Anerkennung des Matriarchats bedeutete Kommunismus, die Gleichheit aller; der Aufstieg des Patriarchats bedeutete die Herrschaft des Privateigentums und gleichzeitig die Unterwerfung und Unterdrückung der Frau“. Er geht sogar noch weiter und beschreibt, dass der Sozialismus das Ziel hat, einen solchen gerechten und friedlichen Natur- und Urzustand wiederherzustellen, nur auf einer kultivierten Ebene (Hermand 1984, 653). Was alle diese frühen linken Theorien zum Matriarchat und Urkommunismus gemeinsam haben ist, dass immer die Neigung der Menschen zur Kooperation und gemeinschaftlichen, produktiven Miteinander im Fokus stehen. Diese werden als damalige und zukünftige Basis für eine freie Gesellschaft angesehen – sei es bei Marxist:innen oder auch bei Anarchist:innen wie Kropotkin.

Das Matriarchat in völkischen und rechten Ideologien und im Nationalsozialismus 

Kritik an der Moderne

Das Werk von Bachofen wurde aber nicht nur von Sozialist*innen zitiert. Im Gegenteil, die meisten seiner Anhänger*innen waren Konservative, Neoromantiker*innen und völkische Protofaschisten*innen. Das heißt Menschen, die sich gegen die Industrialisierung aussprachen und die Natur spirituell und mystisch idealisierten. Darüber hinaus Menschen, die schon früh Ideen entwickelten, die den späteren Faschismus beeinflussten und völkische Ideen förderten. Sie lehnten die moderne Welt ab und sehnten sich nach einer Rückkehr zur Antike und dem „Ursprünglichen“. Gewünscht war alles, was spirituell, irrational, religiös oder eben mütterlich ist (Hermand 1984, 654).

Anfang des 20. Jahrhundert fand ein Wiederaufleben von Bachofens Theorien statt, eine Bachofen-Renaissance sozusagen. Nun wurden auch erstmals von Frauen Publikationen zum Matriarchat veröffentlicht. Bertha Eckstein-Diener  veröffentlichte beispielsweise (unter dem Pseudonym Sir Galahad) das Werk “Mütter und Amazonen. Ein Umriß weiblicher Reiche” (1932). Sie versuchte dabei, Frauen ihre Geschichte wiederzugeben, aber bezog sich gleichzeitig extrem auf die Arbeiten von Bachofen. Inhaltlich beschrieb sie die sogenannten “Frauenreiche” als irrational und von Magie und Gefühl sowie mütterlichem Prinzip zusammengehalten. In diesem Zusammenhang wurde das „Naturwesen Frau“ verehrt. Das Weibliche und Mythische wurden somit als Gegenstück zur modernen, rationalen Welt gesehen (Hermand 1984, 657). Leonore Kühne (1928) ging beispielsweise so weit, ihre Hoffnung zur “Rettung” der modernen Gesellschaft in Müttern zu sehen. In diese Zeit fällt auch der Begriff der „Großen Mutter“ (Magna Mater). Die Mutterschaft stand demnach im Widerspruch zur Wissenschaft und dem modernen Denken und wurde als Symbol im Kampf gegen den „gottlosen Modernismus“ mobilisiert (Röder u. a. 2001, 38). 

Dabei wurde schon früh die sogenannte positivistische Wissenschaft und das logozentrische Denken kritisiert. Positivistische Wissenschaft bedeutet eine Wissenschaft, die davon ausgeht, dass Wissen nur auf wissenschaftlich nachweisbaren Fakten und Beobachtungen basieren sollte. Spekulationen, religiöses Wissen und alles, was über unser physisches Weltbild hinausgeht, werden kategorisch abgelehnt. Stattdessen konzentriert sich die positivistische Wissenschaft ausschließlich auf empirische Daten und objektive Erkenntnisse. Logozentrisches Denken setzt auf rationale und logische Erklärungen und stellt das logische und rationale Denken über emotionale, intuitive und religiöse Weltanschauungen. Dem versuchte man nun eine von irrationalen, intuitiven Motiven geleitete Erklärung der Welt entgegenzustellen.

Gleichzeitig halfen die (okkultistischen) Matriarchatsbewegungen in den 1920er Jahren beim Aufbau einer „neuheidnischen“ Religion. In diesem Zusammenhang führte die Kritik an der Moderne und die Erhöhung des Muttertums zur Rückkehr zu einer germanischen Urgesellschaft. Vertreter*innen der Matriarchatstheorie aus dem rechten und völkischen Spektrum geht es also nicht um Feminismus, sondern vor allem um Kritik an der Moderne und Kritik an der Rationalität. Bei diesen völkischen Matriarchatsträumereien der 1920er Jahre ging es um Naturerfahrung, Mutterkult und Kulturkritik, von wo es zum Mutterideal der Nazis nicht mehr weit war (Röder u. a. 2001, 39). Dieses Irrationale wird auch in der Ideologie des Nationalsozialismus eine wichtige Rolle spielen.

Fortschrittliche Analyse in den 20ern?

Diese konservativen, völkische und protofaschistischen Ideen können nicht nur als Produkt ihrer Zeit abgestempelt werden. Denn ganz anders argumentierte beispielsweise Mathilde Vaertings 1921. Sie zeigte in ihren Arbeiten eine Alternative zu den Wünschen zur Rückkehr zur Mütterlichkeit auf. Die Pädagogik-Professorin entwickelte in ihrem Buch “Die weibliche Eigenart im Männerstaat und die männliche Eigenart im Frauenstaat” die “Pendeltheorie”. Diese besagte, dass im Laufe der Geschichte abwechselnd Männer und Frauen geherrscht haben und sich jeweils gegenseitig unterdrückten. Sie sah Frauen und Männer als gleich und fast schon austauschbar an. Vaertings vertrat die These, dass es außer dem biologischen Unterschied zwischen den Geschlechtern keine natürlichen Geschlechtsunterschiede gebe, und alle weiteren Differenzen würden durch geschlechtsspezifische Sozialisation erlernt werden (Röder u. a. 2001, 39; Maged-Scherney 1995, 4). Diese eher fortschrittlichen Analysen boten den Frauen, die sich nicht von dem Wunsch nach Rückkehr zur Mütterlichkeit angesprochen fühlten und stattdessen nach Emanzipation strebten, eine Perspektive und Orientierung.

Das Wiederaufleben der Matriarchatsthemen machte Konservativen und vor allem Männern allerdings Angst. Charles Maylans thematisierte 1933 die Schreckensgestalt der “modernen Frau” und der “Spukgestalt der Urmutter”. Er beruhigte sich allerdings ebenfalls damit, dass es eine “erwachende Männlichkeit” gäbe, welche sich im Weltkrieg erprobte und sich wahrlich nicht vom Werte vernichtenden Matriarchat kleinkriegen ließe! Diese aufkeimende Angst angesichts der Emanzipationen kennen wir nicht nur aus den 1920er Jahren. Auch zehn Jahre später, nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wird aus heutiger Sicht deutlich, wie schnell diese Emanzipation “rückgängig” gemacht wurde und wie fragil sie war (Röder u. a. 2001, 41).

Die Indogermanen –  Blut und Boden Ideologie

Im Nationalsozialismus wurde, anders als erwartet, Bezug auf die Matriarchatstheorie genommen. Das Matriarchatskonzept veränderte sich im Rahmen völkischer Ideologien noch einmal bedeutend, denn statt einer matriarchal organisierten Gesellschaft gibt es in diesem Verständnis kaum gesellschaftliche Veränderungen in Bezug auf Geschlechterverhältnisse. Die Vorstellung vom Matriarchat als allgemeine Kulturstufe wird nun von der geschichtlichen Entwicklung entkoppelt. Es wird jetzt nicht mehr angenommen, dass Gesellschaften zu Beginn ihrer “Entwicklung” matriarchal organisiert waren, zumindest nicht alle Gesellschaften.

Denn die Entwicklungsstufen gelten nun für alle, außer die Indogermanen. Denn diese seien “von Natur aus” moralischer und sittlicher als andere Gruppen. Deshalb haben sie nie die Phasen der “Gruppenehe” oder “Promiskuität” durchlebt. Die Indogermanen sind demnach also schon auf einer “höheren Entwicklungsstufe” gestartet und haben dann durch Expansion anderen matriarchalen Gruppen das Patriarchat aufgezwungen – Stichwort Blut und Boden Ideologie im Nationalsozialismus. 

An dieser Stelle ist wichtig zu betonen, dass das Konzept der Indogermanen, bzw. das “indogermanische Urvolk” ein Konstrukt von Sprachwissenschaftlern des 19. Jahrhunderts ist. Der indogermanischen Sprachfamilie wurde nach und nach eine eigene Kultur, Herkunft, bzw. Heimat und schließlich auch “Rasse” zugeschrieben, woraus die arischen Indogermanen oder auch Indoeuropäer konstruiert wurden. Angeblich kamen die Indogermanen aus Nordeuropa und expandierten gewaltsam nach Süden und Westen und eroberten die bäuerlichen Gruppen Europas und des Mittelmeerraumes.  Obwohl diese Theorie anfangs ausschließlich auf sprachlichen Überlegungen basierte und nicht den archäologischen Befund widerspiegelt, bleibt sie bis heute ein wichtiger Bestandteil der völkischen und rassistischen Geschichtsschreibung. (Röder u. a. 2001, 43-44). Hierzu aber mehr in dem nächsten Beitrag zur Archäologie (siehe dazu sehr pointiert Heyd 2017). 

Der konstruierte Gegensatz zwischen Indogermanen und Nicht-Indogermanen wird schließlich mit dem Dualismus zwischen Patriarchat und Matriarchat verbunden. Diese Theorie, die auch heute noch häufig aufgenommen und wieder verwendet wird, wandelt das Matriarchat und den damit verbundenen „weiblichen Geschlechtscharakter“ in einen „Rassencharakter“ um. Denn nun wird nicht mehr nur zwischen Geschlechtern, sondern auch zwischen “Völkern” unterschieden. Und nicht nur unterschieden, sondern abgestuft und abgewertet. In diesem Zusammenhang wird auch die im Nationalsozialismus praktizierte “Rassenhygiene” argumentiert, wonach sich nur bestimmte Frauen zur Fortpflanzung eigneten (dazu u.a. Hermand 1984, 662; Röder u. a. 2001, 43-44).

Mutterkult im Nationalsozialismus

So wurde im Nationalsozialismus schließlich aus dem allgemeinen Gefühl der Sehnsucht nach dem Mythischen und Mütterlichen und der rassistisch-völkischen Ideologie, ein staatlicher Mutterkult, welche als politische Religion gefeiert und gelebt wurde. Die Mutter war “heilig” und wurde permanent überhöht. Gleichzeitig zeigte sich unter der nationalsozialistischen Herrschaft, dass anstelle des betonten Mythischen, Archaischen und Matriarchalen, wie es sich viele völkische Fanatiker:innen erhofft hatten, vor allem männlich dominierte Konzepte wie Patriarchalismus, Führerkult und elitärer Auserwähltheit erhalten blieben (Hermand 1984, 660). Gleichzeitig wurde der Muttertag eingeführt, sowie die Verleihung der Mutterkreuze, um Frauen mit vielen Kindern zu feiern. So gewann die Rolle der Frau als Hausfrau und Mutter immer mehr an Prestige. Um die Frauen bei Laune zu halten, wurde folglich das “Muttertum” gefeiert und verehrt. Muttersein wurde zur staatlich geförderten Aufgabe, wonach “die deutsche Frau” im Nationalsozialismus so viele Kinder wie möglich zu bekommen hatte, um das “deutsche Erbe”, die “deutsche Rasse” und den “arischen Nachwuchs” zu sichern. Immer an der ”Geburtenfront” gegen “Minderwertige” und “Fremdrassige”, die das deutsche Volk zerstören wollten. (Röder u. a. 2001, 46; Hermand 1984, 662). 

Aber nicht nur das Muttersein im Sinne von Kindergebären wurde von Frauen erwartet. Sie sollten sich auch in anderen Lebensbereichen mütterlich verhalten. Frauen sollten liebevoll und fürsorglich sein und ihre eigenen Wünsche hinten anstellen, um sich nicht nur um die eigene Familie, sondern auch um die gesamte Gesellschaft, “das Volk als Familie”, zu kümmern. “Die Deutsche Frau hatte – ob mit oder ohne Kinder – in erster Linie mütterlich zu sein, und zwar nicht im biologischen, sondern im moralischen Sinn” (Röder u. a. 2001, 35). Die “gute deutsche Frau” und Mutter leistete also in anderen Worten primär Care- und Reproduktionsarbeit und unbezahlte Mehrarbeit, ohne sich dabei um ihre eigenen Bedürfnisse zu kümmern. Dieses Idealbild der sorgenden, sich für die Familie und ihr Umfeld aufopfernden Hausfrau hat sich bis heute gehalten.

Nachkriegszeit, die Rückkehr an den Herd und 2. Welle-Feminismus

Anders als in der nationalsozialistischen Theorie angelegt, haben Frauen im Krieg viele Aufgaben übernommen und die Lücken der fehlenden Männer gefüllt. Auch im Wiederaufbau spielten sie eine zentrale Rolle, da viele Männer tot, in Gefangenschaft oder nicht arbeitsfähig waren. Frauen übernahmen die Aufbau- und Aufräumarbeiten. Diese waren jedoch kein Schritt zur Emanzipation, sondern passten weiter zum Rollenbild der sich kümmernden, tugendhaften und bewahrenden Frau. Das sorgte aber keinesfalls für eine gesellschaftliche Besserstellung von Frauen. Als zu Beginn der 1950er Jahre das Gröbste “überstanden” war, sollten die Frauen selbstverständlich wieder zurück an den Herd (Röder u. a. 2001, 50f.).

Als Reaktion darauf und in Zusammenhang mit der 68er Bewegung entstanden einige Jahre später die neuen feministischen Bewegungen. An deren Beginn fanden sich autonome Frauengruppen, die sich aus anderen linken Gruppen lösten. Diese standen dafür, dass die Frage der Gleichberechtigung der Frauen nicht nur als ein Nebenaspekt des Klassenkampfes betrachtet, sondern als ein zentraler Konflikt anerkannt werden sollte. Sie kämpften dafür, dass die Unterdrückung von Frauen nicht nur im Zusammenhang mit der sozialen Ungleichheit zwischen den Klassen gesehen wird (dazu Haug/Monal 2001; Schulz 2008; Carstensen/Groß 2006).

In dieser Zeit war vor allem auch Abtreibung und der Paragraph 218, gegen den wir auch heute noch auf die Straße gehen, Thema. Das Private wurde zum Politischen gemacht. Es wurde über Gleichstellung und Emanzipation diskutiert, insbesondere darüber, ob Frauen sich den Männern anpassen und das patriarchale Wertesystem übernehmen sollten, um Gleichberechtigung zu erlangen. Oder sollte vielmehr anerkannt werden, dass Frauen und Männer unterschiedlich – vielleicht sogar grundverschieden – sind und nicht die Frauen, sondern die Gesellschaft sich verändern müsste, damit alle Geschlechter harmonisch zusammenleben können? (Röder u. a. 2001, 58)

Spätestens mit diesen Fragen wurde auch wieder Bezug zur Geschichte gesucht. Denn die Frage, was “natürlich” ist spielte auch hier eine wichtige Rolle.

Eng damit verbunden sind auch die Fragen: Wie war es denn “damals”, wie  war das Geschlechterverhältnis in der Vergangenheit?
Haben wir schon immer in patriarchalen Strukturen gelebt und unter der Gewalt von Männern gelitten, oder gab es auch Zeiten oder Gesellschaften, in denen Frauen die Gesellschaften anführten, herrschten oder zumindest eine andere, anerkannte Rolle spielten? 
Welche Stärken besaßen Frauen und inwiefern waren sie bedeutsam für die gesellschaftliche Organisation? 

Diese Fragen bewegten zu dieser Zeit nicht nur politisierte Feminist*innen, sondern viele Frauen, die auf der Suche nach ihrer Identität waren. Wie sollten Frauen sein und was ist überhaupt weiblich? In diesem Zusammenhang wurden Konzepte von Schwesterlichkeit, Zärtlichkeit und Solidarität entwickelt. Zur selben Zeit bildeten sich besonders in den USA, aber auch in Deutschland, diverse Selbsterfahrungsgruppen. Immer auf der Suche nach der selbstbestimmten Identität und Weiblichkeit (Röder u. a. 2001, 58).

In dieser sogenannten “zweiten Welle” des Feminismus und vor allem ab den 70er Jahren erhielt die Matriarchats Debatte einen weiteren großen Aufschwung. Verschiedene Personen setzten sich erneut mit dem Werk Bachofens, aber auch allgemein mit der Frage nach dem Matriarchat und den Geschlechterverhältnissen auseinander. Anfangs galt die Matriarchatstheorie vor allem als utopischer Gegenentwurf zum Patriarchat, um alternative Gesellschaftsformen zu denken und feministische Spiritualität zu stärken. Durch die Publikationen dieser 2. Welle schien das Matriarchat dann allerdings zu einer historischen Tatsache zu wachsen. In der Frühzeit wurde nun wieder weltweit eine matriarchale Epoche gesehen, in der die Frauen im Zentrum standen oder dominierten, aber ohne ihre Macht als Herrschaft auszuüben. Gesellschaft, Kultur und Religion wurden für diese Vergangenheit weiblich geprägt gesehen. Dies soll zu ei­nem Leben in Frieden und Glück sowie erfüllten partner­schaftlichen Beziehungen geführt haben. Aber auch zu einem verantwortungsbewussten Umgang mit der Natur (Röder 1998, 299). Teilweise wurde ein (fast) paradiesischer Zustand auf die Vergangenheit projiziert. Es wurde aber immer betont, dass dieser (paradiesischer) Zustand nicht einfach nur die Umkehr des Patriarchats ist. 

Obwohl die Idee eines historischen Matriarchats nicht unumstritten war und auf teils spekulativen Theorien basierte, war sie ein wichtiger ideeller Ankerpunkt, der vielen Feminist*innen Hoffnung auf eine gleichberechtigte und friedliche Gesellschaft gab. “Matriarchat” wurde zum Kampfbegriff, Hoffnungsträger und rotem Faden (Röder u. a. 2001, 60). Die Vorstellung und Möglichkeit des Matriarchats bot eine Vision jenseits der patriarchalen Strukturen, in denen Frauen systematisch unterdrückt wurden, und inspirierte viele Feminist*innen, sich für eine gerechtere und egalitäre Zukunft einzusetzen. Die Gesellschaft sollte im besten Fall herrschafts- und ausbeutungsfrei, basisdemokratisch, egalitär und mit einem guten Verhältnis zur Natur sein (Röder u. a. 2001, 61).

Für die 70er Jahre war also die kulturhistorische Matriarchatsforschung ausschlaggebend, den patriarchalen Verhältnissen etwas entgegenzusetzen und aufzuzeigen, dass auch Frauen mächtig, stark und unabhängig sein können, und dies nicht nur privat und individuell, sondern auf gesellschaftlicher Ebene (wie es früher einmal war). Diese Jahrzehnte führten zu vielen verschiedenen Auffassungen und Publikationen zu dem Thema, welche sich teils kritisch, teils positiv darauf bezogen. Auf manche wird in den nächsten Beiträgen noch eingegangen, vor allem wenn es um die archäologische Sicht und Argumente geht. 

Zusammenfassung: Die Geschichte der Matriarchatstheorie

Der Begriff Matriarchat besteht seit den Diskussionen des 19. Jahrhunderts und bedeutet so viel wie „Mutterherrschaft“. Er nimmt in den darauffolgenden Zeiten die unterschiedlichsten Bedeutungen an. Wird der Begriff anfangs als eine ganze Entwicklungsstufe der Menschheitsgeschichte gesehen, über die wir „hinausgekommen sind“, bekommt er in völkischen Ideologien zusätzlich einen „Rassecharakter“. In der zweiten Welle des Feminismus sieht man dann im vorgeschichtlichen Matriarchat eine stabile und friedliche Gesellschaft (angeleitet von Frauen). Sie steht im Gegensatz zur patriarchalen Gesellschaft und gilt als Leitidee für eine bessere Gesellschaft und Welt.

Das Matriarchat hat im Laufe der Geschichte schon immer die unterschiedlichsten Gefühle ausgelöst, von der Angst vor Emanzipation bis zur Überhöhung als Hoffnungsträger. Wir haben gesehen wie das Matriarchat mit der “friedlichen Urgesellschaft” in Zusammenhang gebracht wird und wie unterschiedlich die Vorstellung des Matriarchats in der Urgeschichte instrumentalisiert wurden. Sei es um die Vorherrschaft der Männer und das Patriarchat zu rechtfertigen oder um für die Befreiung der Frauen zu kämpfen. Mit diesem unvollständigen Einblick in die Geschichte der Matriarchatstheorien wollen wir uns im nächsten Teil mit dem Inhalt beschäftigen: Wann soll das Matriarchat in der Geschichte zu verorten sein, wie hat es ausgesehen und wie ist es verschwunden? Dabei beziehen wir uns auf die archäologische und ethnologische Forschung, Funde und Befunde, welche möglicherweise Hinweise auf die Strukturierung früherer Gesellschaften geben könnten.

Wenn ihr Anmerkungen habt, schreibt sie uns gerne in die Kommentare, hier oder auf Instagram/Facebook, wir freuen uns auf Rückmeldung und anregende Diskussionen.

Literaturliste:

Andrej 1998

I. Andrej, Matrilineare Gesellschaften. Eine Untersuchung aus ethnologischer und historischer Sicht (Diplomarbeit Universität Wien 1998).


Bebel 1885 (1959)
A. Bebel, Die Frau und der Sozialismus (1885; Ost Berlin 1959).

Carstensen/Groß 2006

T. Carstensen/M. Groß, Feminismen: Strömungen, Widersprüche und Herausforderungen. In: FAU-MAT (Hrsg.), Gender und Arbeit. Geschlechterverhältnisse im Kapitalismus, 2006, 11-32, https://www.fh-kiel.de/fileadmin/data/sug/pdf-dokument/melanie_gross/carstensen_gross_feminismen.pdf [13.02.2025].

Engels 1884 (1969)

F. Engels, Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats (1884; 8. Auflage Ost Berlin 1969).

Fehlmann 2010

M. Fehlmann, Das Matriarchat: Eine vermeintlich uralte Geschichte, Schweizerisches Archiv für Volkskunde 106, 2010, 265–288.

Graeber/Wengrow 2021

D. Graeber/D. Wengrow, Anfänge: eine neue Geschichte der Menschheit, übers. von H. Dedekind/H. Dierlamm/A. Thomsen (Stuttgart 2021).

Haug/Monal

W. F. Haug/I. Monal, Grundwiderspruch, Haupt-/Nebenwiderspruch. Berliner Institut für kritische Theorie (InkriTpedia) https://www.inkrit.de/e_inkritpedia/e_maincode/doku.php?id=g:grundwiderspruch_haupt-_nebenwiderspruch [13.02.2025].

Hermand 1984

J. Hermand, All Power to the Women : Nazi Concepts of Matriarchy, Journal of Contemporary History 19, 4, 1984.

Heyd 2017

V. Heyd, Kossinna’s smile, Antiquity 91, 356, 2017, 348–359.

Maged-Scherney 1995

I. Maged-Scherney, Die Entwicklung der Matriarchatsdebatte im deutschsprachigen Raum, Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 6, 2, 1995, 201–217.

Röder 1998

B. Röder, «Illusionäre Vergangenheitsaneignung» kontra «patriarchale Verblendung»: Matriarchatsforschung und Archäologie in Deutschland, Archäologische Informationen 21, 2, 1998, 299–313.

Röder u. a. 2001

B. Röder/J. Hummel/B. Kunz, Göttinnendämmerung: das Matriarchat aus archäologischer Sicht (Klein Königsförde/Krummwisch 2001).

Schulz 2008

K. Schulz, Ohne Frauen keine Revolution. 68er und Neue Frauenbewegung. Bundeszentrale für politische Bildung (Bpb) 

https://www.bpb.de/themen/zeit-kulturgeschichte/68er-bewegung/51859/ohne-frauen-keine-revolution/ [13.02.2025].

Wagner-Hasel 2019

B. Wagner-Hasel, Matriarchat: Metamorphosen einer Idee, in: B. Kortendiek/B. Riegraf/K. Sabisch (Hrsg.), Handbuch Interdisziplinäre Geschlechterforschung 65 (Wiesbaden 2019) 211–219.

Wilk 1990

R. Wilk, The Built Environment and Consumer Decisions, in: S. Kent (Hrsg.), Domestic Architecture and the Use of Space. An Interdisciplinary Cross-cultural Study, New Directions in Archaeology (Cambridge 1990).

Klicke, um diesen Beitrag zu bewerten!
[Gesamt: 0 Durchschnitt: 0]

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert