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Unschätzbare Werte – ein kritischer Blick auf die Medienberichte zu den Museumsdiebstählen

Paris, Dresden, Berlin, Trier, Assen (Niederlande, Helm), Manching…

Es fühlt sich an, als gäbe es in den letzten Jahren immer mehr Einbrüche und Diebstähle aus Museen. Diese Vorfälle sind oft spektakulär und erfreuen sich großer medialer Aufmerksamkeit. Tatsächlich häuft sich diese Praxis seit Kurzem. Jedoch haben Einbrüche in Museen und Diebstähle von bedeutenden Kulturgütern schon lange Tradition und sie sind wichtiger Bestandteil von Krimi-Literatur und -Filmen. 

Doch eine Sache fällt auf, wenn man die Berichte über diese Einbrüche liest:

Die Faszination für diese Einbrüche ist deutlich zu spüren und teilweise wird sie auch offen zum Ausdruck gebracht. Es handelt sich ja auch um bedeutende zeitgeschichtliche Vorkommnisse. Aber es wird klar: wenn überhaupt, fußt die moralische Be- und Verurteilung der Tat immer auf dem Geldwert, den die gestohlenen Objekte wert sind oder seien. Viel zu oft werden die Einbrüche und Diebstähle aber sogar noch gefeiert, da sie für viele eine Verwirklichung der viralen Mafia- und Gangster-Serien sind. Dabei handelt es sich um Versicherungssummen, die auf Grundlage von speziellen Gutachten errechnet wurden. In Gesellschaften, in denen das Geld regiert, muss alles einen Geldwert erhalten. Die hohen Versicherungssummen führen vor Augen, was die Museen an Werten beherbergen und können helfen, zu verstehen, wie besonders die Kulturgüter sind, die gestohlen wurden.  Aber andere Wertigkeiten werden nur selten gesehen. Denn leider begnügen sich die meisten Berichte damit, die Bedeutung der Kunstwerke bzw. Funde auf diese Geldsumme zu beschränken.

Wir sind der Meinung, dass die Bedeutung von Kunstwerken, Funden und anderen Objekten im musealen Bereich nicht in erster Linie finanziell begründet werden sollte. Die Bedeutung liegt doch in der kulturhistorischen Aussagekraft, die hilft, die menschliche kulturelle Entwicklung zu verstehen. Sie liegt in der Schöpfungskraft, die ein oder mehrere Menschen in ein Objekt haben einfließen lassen, um etwas noch nie Dagewesenes, etwas Einzigartiges zu erschaffen (und auch, wenn etwas nicht einzigartig ist, ist es von Bedeutung). Insbesondere die Kunstwerke aus Schatzkammern etc. sind Ding gewordene Beweise, für die menschliche Kreativität und das technische Können, welches einige bis zur Meisterschaft gebracht haben. Diese wichtigen Werke sind Richtungsweiser, Meilensteine und Denkmale für die Menschheit und ihre Entwicklung. Natürlich wurden faktisch die Museen geschädigt. Aber die Diebstähle, welche im schlimmsten Fall zur unwiederbringlichen Zerstörung der Kunstwerke führt, ist ein Raub an der Gesellschaft und der Menschheitsgeschichte. Diese steht nicht nur Kulturwissenschaftler:innen und Akademiker:innen zu, sondern allen. Wir verurteilen die Taten nicht, weil Gold, Silber und Edelsteine gestohlen wurden, sondern weil uns allen somit die Möglichkeit genommen wird, die Schönheit, Kunstfertigkeit und kulturhistorische Bedeutung der Stücke in direkter Anschauung zu erfahren.

Worin liegt der Wert der Kunstwerke?

Wenn sich die Medienberichte nicht nur auf die Versicherungssumme beschränken, wird gern noch angeführt, wem diese Gegenstände einst gehörten. Allerdings geht es hierbei nicht um kritische Provenienzforschung, sondern um Adelskitsch. Während dem historischen Kontext wenig Bedeutung beigemessen wird, werden Objekte beispielsweise als königlicher Besitz auf eine Ebene über die gewöhnlichen Bevölkerungsschichten gehoben. Wir möchten damit nicht sagen, dass es irrelevant ist, wer die Arbeiten beauftragte und wie die Entstehungs- und Besitzgeschichte solcher Objekte lautet. Aber der Punkt ist doch: die Schaffenskraft und Kunstfertigkeit, die sich in den Stücken manifestiert, ist nicht König, Kirche oder Vaterland zu verdanken. Sie ist denjenigen zu verdanken, die die Objekte hergestellt haben. Zwar konnten in vielen Epochen entsprechende Kunstwerke nur durch adligen oder kirchlichen Auftrag entstehen, aber dies lag daran, dass diese Klassen durch Gewalt große Teile des gesellschaftlichen Wohlstands angehäuft hatten. Wir finden: nicht den Auftraggeber:innen gebührt der Ruhm, sondern den Handwerker:innen und Künstler:innen. Und wir hoffen, dass dies in entsprechenden Berichten mehr zur Geltung kommen wird.

Aber der Punkt ist doch: die Schaffenskraft und Kunstfertigkeit, die sich in den Stücken manifestiert, ist nicht König, Kirche oder Vaterland zu verdanken.

Aus diesen Worten ergibt sich, dass wir auch besonders europäische Schatzkammern und Museen mit kolonialer Geschichte kritisieren müssen. Dass heute die meisten Menschen zumindest theoretisch Zugang zu Museen und Kulturgütern haben, resultiert aus einem langen Kampf. Und noch immer können es sich viel zu viele nicht leisten oder können aus anderen Gründen nicht teilhaben, weil der Zugang zu Kunst, Kultur und Bildung aktiv blockiert wird. Dazu gehört auch, dass insbesondere einst unter kolonialen Bedingungen geraubte und unter Unrecht nach Europa verbrachte Kunstwerke in die Länder ihrer Erschaffer:innen zurückgebracht werden müssen. Denn hier gelten dieselben Argumente: die Kunstwerke und Funde wurden den Menschen, für die sie eine wichtige kulturhistorische Bedeutung haben, geraubt (noch dazu unter kolonialistischem Terror). Den beraubten Menschen wurde die Möglichkeit genommen, die Objekte wahrzunehmen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Bezeichnend für die Diskussion ist auch die immer noch stark kolonial geprägte Annahme, die Kulturgüter wären in ihren Herkunftsländern nicht sicher. Vielleicht ist da auch was wahres dran – vielleicht wäre der Goldschatz von Manching in Ägypten besser aufgehoben gewesen?

Das Mitleid mit den großen Häusern, in die eingebrochen wurde, darf sich also gern in Grenzen halten. Dennoch macht es die Taten nicht tolerierbar. Denn es handelt sich nicht um Diebstähle aus wirtschaftlicher Notlage heraus oder z. B. mit einem anti-kolonialen Anspruch. Die großen Einbrüche waren komplex geplant und wurden vom organisierten Verbrechen durchgeführt. Ziel war es, sich zu bereichern. Antikenhandel ist einer der wichtigsten Finanzierungswege verbrecherischer und terroristischer Organisationen (Müller-Karpe 2021). Wenn die Gegenstände (aus Edelmetall) nicht eingeschmolzen werden, können sie nur an private Sammler:innen gehen. Und aus den oben genannten Gründen, ist dies massiv zu kritisieren. Solange die Objekte nicht öffentlich wahrnehmbar und fassbar sind, sind sie gesellschaftlich verloren.

Quellen (Auswahl): 

Müller-Karpe, Geplündertes Welterbe – der Handel mit geraubten Antiken, 2021 DOI: https://doi.org/10.11588/ih.2021.1.87253

https://www.sueddeutsche.de/panorama/trier-nach-versuchtem-goldschatz-raub-mutmasslicher-taeter-angeklagt-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-210504-99-463070

Berichte die archäologischen/kulturhistorischen Wert anerkennen: 

https://www.deutschlandfunkkultur.de/festnahmen-nach-diebstahl-von-rumaenischen-kunstschaetzen-in-den-niederlanden-100.html

https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kunst-und-architektur/niederlande-kostbarer-goldhelm-aus-museum-gestohlen-110257484.html

Verknüpfung mit Nationaler Identität: https://www.sueddeutsche.de/kultur/goldhelm-cotofenesti-niederlande-kunstraub-dents-museum-li.3190235?reduced=true

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