Mit Beginn der Covid19-Pandemie beansprucht der Umgang mit dem Virus die menschliche Welt sowohl strukturell als auch organisatorisch. Da die politischen Entscheidungen und Machtkämpfe an einigen Stellen mehr Schaden als Nutzen bringen (nein, nicht die Hygieneregeln – bitte dran halten – ist lebenswichtig). Die finanzielle Situation Studierender waren bereits vor dem Virus prekär. Die Pandemie forderte nun zwangsläufig eine schnelle Umstrukturierung des privaten und beruflichen Miteinanders.
Daher haben wir uns als Anarchaeologiekollektiv folgende Frage gestellt: Wie sieht es in diesem Land mit der Archäologie in Corona-Zeiten aus? Für uns umfasst das Blickwinkel der Studierenden, der Dozierenden, der Museen, der Denkmalpflege und der Privatwirtschaft.
Als Studierende archäologischer Fächer haben wir im Bereich des Studiums mehr Einblick als in die anderen Aspekte. Darum haben wir zunächst
Fragen an Vertreter:innen der Bereiche verschickt und auch einige Antworten erhalten, die wir gerne mit euch teilen wollen. Dies erfolgt stellenweise anonymisiert. Die folgenden Texte über Problemfelder und Veränderungen, ob positiv oder negativ, sollen Kolleg:innen und Freund:innen Einblicke in die Erfahrungen und die Situation bieten. Die Texte sind nicht als endgültige Antworten auf die aktuellen Fragen und Herausforderungen zu verstehen. Sie stellen viel mehr Momentaufnahmen von der ersten Lockdownphase bis jetzt dar. Auch wenn wir als Menschen damit einverstanden sind uns selbst zurückzunehmen, um durch einen rücksichtsvollen und solidarischen Umgang die weitere Verbreitung des Virus zu verlangsamen, bleibt es unseres Erachtens wichtig auch auf Probleme, die sich derzeit in unserem Fach ergeben, hinzuweisen und aufmerksam zu machen. Daher möchten wir zu einer Diskussion anregen, was anders laufen könnte, jetzt und vor allem in Zukunft. Schreibt uns gerne, welche Erfahrungen ihr gemacht habt. Wie hat die Pandemiesituation euer Studium/eure Arbeit beeinflusst? Berichtet uns auch gerne, was euch geholfen hat, mit der Situation umzugehen!
Wir möchten alle unsere Artikel zu Covid19 und archäologischen Institutionen, Gruppen und Menschen aus dem Fach nicht als abgeschlossen, sondern als Momentaufnahmen begreifen, die stetig ergänzt und erweitert werden können.
Museen
Zum Auftakt unserer Beitragsreihe möchten wir versuchen die Perspektive der Museen einzufangen.
Dabei möchten wir unseren Kolleg:innen (ob direkt aus dem Fach, Quereinsteiger:innen oder Assozierte) die Möglichkeit geben, in ihrem Versuch mit der drastisch veränderten Situation umzugehen, gehört zu werden. Es wäre ein Trugschluss zu glauben, dass, sobald ein Impfstoff da ist, alles wieder genauso laufen wird wie „davor“. So schrieb der Museumsbund bereits im April 2020: „Die Coronavirus-Pandemie zwang die Museen in Deutschland über mehrere Wochen zur Schließung. Nach ersten Lockerungen des Lockdowns dürfen die Museen in einzelnen Bundesländern unter Auflage strenger Hygiene- und Abstandsregeln wieder öffnen. Befinden wir uns damit auf dem Weg zurück zur musealen Normalität? Sicherlich nicht. In Folge der Pandemie müssen wir mit einer tiefgreifenden Debatte über die zukünftige Rolle der Museen beginnen.“ Zwar verabschiedeten Bund und Länder Hilfspakete und auch die Museen konnten ab Mai langsam wieder öffnen. Aber auch der zweite Lockdown fällt genauso schwer ins Gewicht.
Wir stellten uns verschiedene Fragen: Welche Auswirkungen hat die Pandemie auf die Besucher:innenzahlen? Wie werden Hygieneregeln umgesetzt? Wie sah die Situation bei tariflich nicht gebundenen Mitarbeiter:innen aus? Wie wirkte sich die weitgehend verschleppte Digitalisierung aus?
Alle Museen hatten und haben wirtschaftliche Einbußen, vor allem da die Eintrittseinnahmen wegblieben. Je abhängiger die Museen von diesen Einnahmen sind, desto härter wurden sie getroffen. Demnach sind besonders die nicht-staatlichen Museen betroffen. Dazu kommt, dass die Unterstützung von Kommunen und Ländern oft unzureichend sind.
Insgesamt haben wir ungefähr 30 deutsche Museen per Mail kontaktiert. Überraschenderweise gab es nur eine Rückmeldung. Ob die Öffentlichkeitsarbeiten der Museen nichts zu sagen oder nichts mit uns zu tun haben wollen – wir wissen es nicht. Daher geben wir hier ’nur‘ dieses eine Schlaglicht wieder, welches aber den Ernst der Lage besonders deutlich zeigt.
Für unseren Auftaktartikel konnten wir das Archäologische Freilichtmuseum Oerlinghausen in Persona von Herrn Karl Banghard für ein Interview gewinnen (Stand: 11.11.2020). Das Freilichtmuseum vermittelt einen Eindruck vom prähistorischen Alltag – vom Sommerlager der eiszeitlichen Rentierjäger:innen bis zur frühmittelalterlichen Hofanlage. Das Programm ist breit gefächert und bietet hauptsächlich ein Gefühl für menschliche Lebensweisen.
A: Welche konkreten Auswirkungen hatte und hat die Corona-Pandemie auf Ihr Museum?
K. B.: Durch den Totalausfall der Gruppenbesuche war unser vereinsgetragener Betrieb in seiner Existenz bedroht. Als ein auf Schulklassen spezialisiertes Museum machen diese den Großteil der Einnahmen aus. Unser konkreter Arbeitsaufwand im Museum hat sich dagegen nahezu verdoppelt: Unsere Saison beginnt am 1. April, es lagen zahlreiche Buchungen vor. Sämtlichen Gruppen musste in kleinteiliger Arbeit wieder absagt, das eingezahlte Geld zurücküberwiesen werden. Dasselbe gilt für die zahlreichen Verträge für die Events u. v. m.
A: Wie stark sind Sie von den Besuchseinnahmen abhängig? Gab es starke finanzielle Verluste?
K. B.: Im Gegensatz zu den staatlichen Museen leben wir zu einem wesentlichen Teil von unseren Einnahmen. Mit 42 Prozent Eigenanteil werden wir vom LWL-Museumsamt als wirtschaftlichstes Museum in Westfalen geführt, dicht gefolgt vom Rock- und Popmuseum in Gronau (Platz 2) und der Burg Altena (Platz 3). Diese Wirtschaftlichkeit erweist sich jetzt als Bumerang: Momentan schiebt das Museum trotz massiver Einsparungen ein fremdverursachtes Nettodefizit von 73 Prozent vor sich her. Bei unserem Bruttoumsatz von nur 450.000 Euro hätte das natürlich das betriebswirtschaftliche Ende bedeutet – wenn es keinen Ausgleich gibt. Von der öffentlichen Hand kommen trotz intensiver Bemühungen vor allem Investitionsprogramme. Die private Spendenbereitschaft an uns ist dagegen enorm und sehr rührend, sie hat uns für 2020 gerettet. Aber deshalb sollten sich die für uns zuständigen Institutionen nicht aus der Verantwortung stehlen.
A: Wurden Mitarbeiter:innen in Kurzarbeit geschickt oder sogar entlassen?
K. B.: Einzelne Kolleg:innen sind freigestellt (keine Kurzarbeit) und arbeiten befristet in anderen Jobs. Sobald die Krise abgeebbt ist, stellen wir sie wieder ein. Die museumspädagogischen Programme werden i. d. R. durch 16 Minijobber:innen abgewickelt, die jetzt ohne Arbeit sind. Im technischen Bereich kämpfen wir gegen Kurzarbeit, obwohl uns das die Lokalpolitik teilweise nahelegt hat. Dort haben wir einen Sozialplan entwickelt, der greift, wenn die Krise andauert und es absolut nicht mehr anders gehen sollte.
A: Welche Bedeutung messen Sie virtuellen/digitalen Angeboten, wie z. B. Rundgängen, hinsichtlich der Pandemiesituation bei? Bietet Ihr Museum dies an? Wird die Digitalisierung der Bestände und der Ausstellungen in Folge der Pandemie zunehmen? Welche Nachteile sehen Sie darin? Könnte es zur Schließung von Museen kommen, wenn Ausstellungen digital geschehen können?
K. B.: Zur Vorlage der Sammlungsbestände können wir als Freilichtmuseum ohne Magazin wenig sagen. Wir haben aber unser social-Media-Angebot erweitert, was durchaus Werbeeffekte hat.
Wir bedanken uns ganz herzlich für das Interview und wünschen weiterhin viel Kraft und Durchhaltevermögen!
Wenn Ihr in einem Museum arbeitet und Eure Perspektive erläutern möchtet, meldet Euch gerne bei uns.
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