Im folgenden ist ein Bericht zweier Teilnehmer*innen und Mitglieder des Anarchaoelogie Kollektivs zu lesen, die vom 27.-28.9.2018 am Workshop „Neo-völkische Geschichtsbilder in populären Vergangenheitsaneignungen im östlichen Europa. Neuheidentum – Reenactment – Musikszene“ in Leipzig dabei waren. Auch wenn dies keine expliziet archäologische Tagung oder ein archäologischer Workshop war haben wir uns dennoch entschlossen den Bericht zu veröffentlichen und danken für die Einreichung.
Bericht
Das GWZO (Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa) richtete Ende September einen interdisziplinären Workshop aus, an dem auch wir, Vertreter von Anarchaeologie, teilnahmen. Bereits der Titel der Veranstaltung “Neo-völkische Geschichtsbilder in populären Vergangenheitsaneignungen im östlichen Europa. Neuheidentum – Reenactment – Musikszene” zeigt, dass es sich nicht um eine rein archäologische Tagung handelte – anwesend waren auch Vertreter*innen der Geschichtswissenschaft, der Soziologie, der Ethnologie, der Religionswissenschaft, der Philologie, der Minority Studies sowie von Yad Vashem. Zwar lag der thematische Fokus auf Zentral- und Osteuropa, aber es stellte sich von Anfang an heraus, dass bzgl. des Workshop-Themas das östliche Europa nicht isoliert betrachtet werden darf, sodass sich auch einige Vorträge mit der Thematik z. B. in Deutschland, Skandinavien oder den USA beschäftigten.
Schon in der Begrüßung und im ersten Vortrag wurde es sehr spannend, da betont wurde, dass es sich beim Begriff des “Völkischen” um einen spezifisch deutschen Begriff handelt, der nicht direkt übersetzt werden kann, da bspw. das englische “national” oder “ethnic” nicht deckungsgleich mit “völkisch” sind. Es wurde aufgezeigt, dass der Begriff in seiner Entwicklung eng mit der deutschen Geschichte des 19. und 20. Jh. verknüpft war und stets rassisch/rassistisch aufgefasst wurde, was dann um traditionalistische und historische Elemente erweitert wurde.
Von der historischen Betrachtung konnte in den folgenden Vorträgen eine Brücke geschlagen werden zur Nachkriegszeit und Gegenwart. Insbesondere wurden die Subkulturen der NS-Musikszene, des Neuheidentums und des Reenactments thematisiert. Erschreckenderweise wurde deutlich, dass diese drei Bereiche eng miteinander verwoben sind und sich oft deckungsgleicher Geschichtsbilder bzw. Geschichtsnarrative bedienen.
Weiterhin wurde an Fallbeispielen aus Polen und Ungarn erläutert, dass dort Rechtsradikale die Reenactment-Szene intensiv prägen und ihre ideologischen/politischen Inhalte einbringen, sodass sie z. B. im Rahmen scheinbar unpolitischer Reenactment-Festivals ihre rassisch-völkischen Ideologien im Deckmantel der postulierten Wissenschaftlichkeit und Historizität einem breiten Publikum vermitteln können. Auch gibt es, vor allem in Ungarn, immer häufiger direkte Kontakte und Zusammenarbeiten mit regierenden Politiker*innen, die sich wiederum gerne der Reenactment-Inszenierungen bedienen, die letztendlich die aktuellen rassistischen Politiken unterstützen, indem sie darstellen, dass es eine lange historische und auch rassische Kontinuität des entsprechenden “Volkes” (in dem Fall der Magyaren/Ungarn) im entsprechenden Raum gab. Diese öffentlichkeitswirksame Re-etablierung einer Volk-Boden-Ideologie lässt sich quasi in allen Reenactment-Szenen Europas fassen, wobei es durchaus Unterschiede gibt, wie radikal und deutlich dies gezeigt wird.
Alle Vorträge waren sehr spannend und haben sich gut ergänzt. Ebenfalls war die Atmosphäre den ganzen Workshop über sehr angenehm und offen. Hier ist jetzt allerdings nicht der Platz, um jeden einzelnen Beitrag zu rezensieren. Stattdessen möchten wir am Ende noch darauf zu sprechen kommen, worüber in der Abschlussdiskussion debattiert wurde. Denn angesichts der erschreckenden Ergebnisse der Vorträge ist man als Wissenschaftler*in dazu geneigt, ohnmächtig zu fragen, was man gegen die rechte Vereinnahmung historischer und archäologischer Themen unternehmen kann. Jedoch bildete sich in der Diskussion sehr schnell ein Konsens heraus: “unser” Ziel sollte es sein, diejenigen Menschen, welche noch nicht endgültig der rechten Ideologie verfallen sind, ob der inhaltlichen und moralischen Falschheit dieser völkischen Geschichtsbilder und Ideologien aufzuklären.
Allerdings liegt die Vermutung nahe, dass neue archäologische und historische Erkenntnisse (als Beispiele sind Migrationsbewegungen zu nennen) kaum Einfluss auf die Reenactment-Szene haben. Dementsprechend wurde gefordert, dass mehr Kontaktaufnahme zu entsprechenden Gruppen, die zwar unreflektiert, aber nicht offen rechts sind, gesucht werden sollte. Jedoch wurde auch betont, dass viele dieser Menschen nicht bereit sind für eine ergebnisoffene Diskussion. Fraglich ist natürlich außerdem, wo die rote Linie zu ziehen ist: mit welchen Akteur*innen kann man noch guten Gewissens zusammenarbeiten bzw. sprechen und mit wem nicht mehr?
Zu unterscheiden ist hierbei zwischen Unwissenheit und Toleranz gegenüber rechter Inhalte. Es war schade, dass keine Vertreter*innen von nach obigen Maßstäben tolerierbaren Reenactment-Gruppen an dem Workshop teilnahmen – vielleicht kann man in Zukunft versuchen diese einzuladen.
Abseits von der Beziehung zwischen Wissenschaft und Reenactment wurde aber des Weiteren deutlich, dass ebenfalls gegenüber der Öffentlichkeit mehr kommuniziert werden muss, dass es nicht eine einfache (historische) Wahrheit gibt – an verschiedenen Beispielen, wie z. B. dem Schulunterricht wurde aufgezeigt, dass es dafür einer besseren Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Öffentlichkeit/Staat und Zivilgesellschaft bedarf. Außerdem wurde sich dafür ausgesprochen emanzipatorische und linke Gegennarrative aufzubauen und zu verbreiten, wobei diese natürlich auch selbst problematisch sein können. Um erfolgreich zu sein, müssten sie in einer ausgewogenen Balance zwischen Attraktivität (Action, Mystik, Emotionen, eigene Vergangenheit/kollektives Gedächtnis) und wissenschaftlicher Korrektheit liegen.
Dementsprechend reicht es nicht, einfach nur möglichst viele Fakten und Informationen der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen, denn wie der Redner Hermann Ritter sagte: “Freie Information ist nicht freies Wissen.” – um dem ideologischen Missbrauch von Ergebnissen zu begegnen, müssen neben den Informationen auch Möglichkeiten geboten werden, dass diese ‘korrekt’ verarbeitet werden können.