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Die Archäologie in Deutschland – immer noch nicht entnazifiziert. Ein neuer Fall.

Die prähistorische Archäologie in Deutschland weist in ihrer Geschichte viele Schattenseiten auf. Als “hervorragend nationale Wissenschaft”, wie Gustaf Kossinna sie bereits 1912 lobpries, wurde sie insbesondere von der politischen Rechten immer wieder instrumentalisiert. Manche mögen meinen, dieser Missstand endete mit dem Nationalsozialismus. Allerdings gab es personell kaum Diskontinuitäten auf den deutschen Lehrstühlen der Ur- und Frühgeschichte. Man muss sich schon sehr bemühen, unter den Professoren der 50er und 60er Jahre jemanden zu finden, der (seltenst die) nicht zumindest in der NSDAP Mitglied war. Viel zu oft muss man sogar lesen, dass die akademischen Köpfe der nachkriegsdeutschen Archäologie tiefer im NS-Apparat verstrickt waren. Prominente Beispiele sind Herbert Jankuhn und Gustav Riek. Konsequenzen, vor allem in der Forschungslandschaft, blieben aus. Ganz im Gegenteil: konsequent gab es leitende Positionen, Ehrungen und Ernennungen für die NS-Verbrecher. Erst mit dem vielschichtigen Generationenwechsel nach 1968 verschwand das alte Netzwerk allmählich. Ernsthafte Kritik und Aufarbeitung musste noch länger auf sich warten lassen. Mittlerweile gibt es einige forschungsgeschichtliche Bücher über die Bedeutung der Archäologie im Nationalsozialismus sowie über die involvierten Personen und ihre Karrieren (s. u.).

Die Altnazis in der Archäologie waren Opportunisten: sie verbargen ihre Ansichten und waren clever genug, ihre Forschungen der Zeit anzupassen. Ein tatsächlicher Missbrauch der Archäologie durch ausgebildete Archäolog:innen, im Sinne von anti-faktischer Umdeutung wissenschaftlicher Erkenntnisse für politische Zwecke, wurde durch zunehmende kritische Reflexion von Interpretationen und Methoden immer schwieriger. Wer so etwas versucht, verliert schnell den Anschluss in der wissenschaftlichen Gemeinschaft (leider eher wegen der mangelhaften Methodik als wegen der dahinterstehenden Ansichten).

Aber abseits der Fachwelt geschah dieser Missbrauch umso häufiger. Insbesondere seit den 1990er Jahren nahm die Instrumentalisierung angeblicher archäologischer Erkenntnisse seitens der aufstrebenden Neonaziszene an Bedeutung zu. Vor allem durch die Verbindung von Neonazi- und Neuheidenszene war der Bezug auf die ‘germanische Vorzeit’ sehr wichtig. Die Gefahr, die dem innewohnte und die damit verbundene Verantwortung archäologischer Akteur:innen und Institutionen führte dazu, dass sich seit den 2000er Jahren einige Kolleg:innen mit der Bedeutung der Archäologie im Rechtsradikalismus befassten. Durch ihre Arbeit wurden viele Museen sensibilisiert und stellten sich der Verantwortung, rechte Narrative zu dekonstruieren und über die Vergangenheit reflektiert aufzuklären. Allerdings musste vielen Museen sowie anderen Institutionen bis hin zu Fernsehsendern erst einmal ordentlich auf die Füße getreten werden: erst nach dem Ulfhednar-Fall wurde klar, dass viel zu blauäugig mit Reenactment-Gruppen und ähnlichem zusammengearbeitet wurde. Viele in der archäologischen Gemeinschaft wollten und wollen immer noch nicht glauben, dass die Reenactment-Szene von Neonazis durchsetzt war/ist. Die Archäolog:innen, die es wagten, darüber aufzuklären und Konsequenzen zu fordern (z. B. Karl Banghard, Ralf Hoppadietz, Doreen Mölders, Albrecht Jockenhövel, Eva Stauch) stießen oft auf Ignoranz oder wurden gar bedrängt.

Wieder braunes Fallobst im Korb: Markus Sanke

Dass es in der deutschen Archäologie-Fachwelt einen prinzipiellen antifaschistischen Konsens gibt, ist leider eine Utopie. Auch wenn wir dem sicherlich in den letzten Jahrzehnten etwas näher gekommen sind, gibt es noch genügend Studierende, Dozierende, Kolleg:innen, Chef:innen usw., die rechte bis rechtsradikale Weltbilder haben. Nicht selten sind es auch ehemals erfolgreiche Forscher:innen, die aber irgendwann mit ihren Ideen nicht mehr in der Fachwelt, dafür aber umso mehr in der rechten Szene Gehör fanden. Ein Beispiel dafür ist der emeritierte Althistoriker Egon Flaig. Kritisiert man so etwas vor anderen, kommt viel zu oft ein “Der meint das nicht so” oder “Die ist doch eigentlich ganz nett”. 

Wir meinen: Leute mit rechten Positionen ‘meinen das immer so’ und sind nicht ‘ganz nett’! Leute mit rechten Positionen gehören konfrontiert! Leute mit rechten Positionen haben in der Archäologie nichts zu suchen!

Und genau deswegen möchten wir hier einige Worte über den Mittelalterarchäologen Markus Sanke verlieren. Markus Sanke, 1965 in Hagen geboren [1], hat u. a. zum Kloster Lorsch und zu Gräbern geistlicher Eliten geforscht. Er ist laut seines Researchgate-Profils Privatdozent am Lehrstuhl für Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit an der Universität Bamberg [2]. Die letzte Veranstaltung von ihm, die wir finden konnten, war eine Vorlesung im Sommersemester 2019 [3]. Herr Sanke ist zudem Mitautor von Geschichtslehrbüchern [4, 5].

Doch nun zu dem, worüber wir eigentlich sprechen wollen: Markus Sanke hat für das “Institut für Staatspolitik” ein Buch des französischen Schriftstellers Charles Maurras übersetzt, das erst vor wenigen Monaten im Sommer 2022 erschienen ist [6]. Dass er der Übersetzer ist, gibt er selbst auf seiner Researchgate-Seite an (außerdem “Recently: research in ‚Weltanschauung‘: Counter-Enlightenment thought in interwar Europe 1918-1938 Next projects: appreciative edition of key texts for European reactionary, anti-democratic and traditionalist Catholic thought.”). 

Eins nach dem anderen: Das “Institut für Staatspolitik” ist eng verknüpft mit dem Verlag Antaios. Beides befindet sich in dem Örtchen Schnellroda im südlichen Sachsen-Anhalt, auf dem Gehöft des federführenden Götz Kubitschek. Kubitschek und die Akteur:innen des “Instituts für Staatspolitik” sind die wichtigsten Vordenker der deutschen “Neuen Rechten”, sie arbeiten eng mit Faschist:innen in ganz Europa und in Deutschland mit der AfD zusammen (Literatur ist unten angegeben). Der Verlag Antaios fungiert dabei als Verbreitungsorgan der Ideologie, die maßgeblich an der gesellschaftlichen Diskursverschiebung nach rechts beteiligt ist – von Ethnopluralismus, Großer Austausch, Festung Europa, Holocaust- und Kriegsverbrechenrelativierung, Anti-Universalismus, Unterordnung der Frau bis Negierung und Unterdrückung von queern Identitäten ist alles dabei. Mittlerweile wird das “Institut für Staatspolitik” vom sachsen-anhaltischen Verfassungsschutz beobachtet [7]. Wichtige Veranstaltungen sind die halbjährlich stattfindenden “Akademien” in Schnellroda: mit pseudo-wissenschaftlichen Vorträgen wird versucht, die akademische Fassade der “Neuen Rechten” aufrechtzuerhalten. Allerdings dienen diese “Akademien” vielmehr der bundesweiten und europaweiten Vernetzung innerhalb der rechten Szene. Dort treffen sich nicht nur Autor:innen, sondern auch vorbestrafte Nazis, z. B. von der Identitären Bewegung, Burschenschafter und Politiker:innen.

Bei dem von Sanke übersetzten Buch handelt es sich um “Meine politischen Gedanken” von Charles Maurras, welches im Original 1937 erschien. Charles Maurras (1868-1952) war ein französischer Publizist und Schriftsteller. Vor allem war er aber ein glühender Antisemit und Faschist. Armin Pfahl-Traughber fasste in einem kurzen Artikel einige Punkte zu Maurras zusammen [8].

Die Übersetzung von Markus Sanke: seiner Ansicht nach, und das würde er wahrscheinlich auch gegen diesen Artikel in Stellung bringen, handelt es sich bei der Übersetzung um eine rein fachlich-sachliche Notwendigkeit, da es von Maurras’ Buch bislang keine deutsche Übersetzung gibt. Mehrere Punkte zeigen aber deutlich, dass sich Sanke nicht nur für Maurras’ Inhalte aus wissenschaftlicher Sicht interessiert, sondern auch begeistert. Auf dem Youtube-Kanal des Verlags Antaios findet sich ein halbstündiges Interview vom Leiter des “Instituts für Staatspolitik” Erik Lehnert mit Markus Sanke [9]. Dieses Interview ist gleichzeitig die Buchvorstellung und fand im Rahmen des Sommerfestes statt (30./31.07.2022) [10]. Gleich am Anfang wird klar: Sanke suchte sich den rechten Verlag aus und der Publikationsvorschlag ging wohl von ihm aus. Schon diese Verlagswahl zeigt, dass Sanke zumindest kein Problem damit hat, mit Faschist:innen zusammenzuarbeiten (die politische Haltung des Verlages ist leicht herauszufinden und eindeutig). Warum das Buch offiziell vom “Institut für Staatspolitik” und nicht vom Verlag Anatios veröffentlicht wurde, wissen wir nicht, aber da quasi eine Personalunion vorliegt, ändert es nichts an der Einordnung. Der Verlag war offenbar sehr dankbar ob des Angebots und eröffnete sogar eine neue Buchreihe (“Studientexte zur Politik”). Aber nicht nur das: einige Aussagen aus dem Interview machen klar, dass Markus Sanke sich in diesem Umfeld selbst verortet, hier zwei Beispiele:

ab 3:04 min: “Nichtsdestotrotz […] hat die Lektüre dieses Denkers und Polemikers einiges für sich und kann auch einer Rechten östlich des Rheins Impulse geben.”

ab 21:47 min: [über die Gründe, warum der Antisemitismus in dem Buch zurückhaltender als in Maurras’ Artikeln sei] “Ich glaube nicht, dass es ein Einknicken vor der damals [1937] schon sich abzeichnenden Erfolgsgeschichte Deutschlands gewesen ist.”

Bezeichnend ist auch, dass Sanke nicht widerspricht, sondern eher nickt, als Lehnert für die Zeit um 1937 eine “Vorbildwirkung Deutschlands, was die Lösung der Probleme der modernen Welt betrifft” attestiert (ab 21:01 min). Dieses Verklausulieren ist typisch für die ‘intellektuellen Neurechten’, dahinter versteckt sich aber immer deutlich ihre faschistische Ideologie: Lehnert (und offenbar auch Sanke) finden, dass die NS-Terrorherrschaft ‘Probleme’ gelöst hat. Hier soll gar nicht weiter ausgeführt werden, was das für verbrecherische ‘Lösungen’ waren.

Markus Sanke war aber auch bereits vor der Buchvorstellung in Schnellroda. Ein Foto zeigt ihn bei der “Frühjahrsakademie” in Schnellroda (08.-10.04.2022) [11]. Er wusste also ganz genau, wo und bei wem er dort war. Die vorgelegten Nachweise deuten unseres Erachtens darauf hin, dass Sanke ein Anhänger und Verbreiter rechter Ideologie ist.

Wir fordern alle archäologischen Institutionen und Verlage auf, die Zusammenarbeit mit extrem rechten Archäolog:innen wie Markus Sanke einzustellen. Wenn unsere oben dargelegte Forschungsgeschichte uns eines gelehrt hat, dann dass hier nichts mehr diskutiert oder abgewägt werden muss. Rechte Ideologen haben in der Archäologie nichts zu suchen.

In einer Stellungnahme des Bamberg Lehrstuhls bzw. des Lehrstuhlinhabers Prof. Dr. Schreg wird betont, dass es zu Markus Sanke seit 2019 keinen Kontakt mehr gibt. Das Bamberger Institut positioniert sich klar gegen Rechtsextremismus und für eine offene Gesellschaft. Die aktuellen Tätigkeiten von Herrn Sanke sind folglich gänzlich losgelöst von dem Lehrstuhl. Während seiner früheren Tätigkeiten dort konnte der Stellungnahme zufolge bei ihm keine etwaige rechte Ideologie beobachtet werden. Wir teilen diese Einschätzung und gehen daher davon aus, dass Sankes Radikalisierung erst seit wenigen Jahren offen vorliegt. Die genauen Gründe lassen sich nur vermuten und es muss vorerst offen bleiben, ob zuerst das neue Forschungsthema oder die rechte Ideologie bestand. Wir sind froh, dass in Bamberg eine konsequente Haltung gezeigt wird und mögliche Maßnahmen geprüft werden.

In einer Stellungnahme des C. C. Buchner Verlags wurde uns mitgeteilt, dass die Tätigkeiten von Markus Sanke für den Verlag 2017 beendet wurden. Der Verlag stellt klar: „Die Verharmlosung und Billigung der in dem Band zum Ausdruck kommenden radikalen, antidemokratischen und antiliberalen Überzeugungen sowie die Glorifizierung des gewaltverherrlichenden Rechtsextremisten und Antisemiten Charles Maurras verurteilen wir auf das Schärfste. Grundsätzlich distanzieren wir uns mit Nachdruck gegen jede Form der Propagierung von Gedanken, die unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung widersprechen.“

[1] https://forschdb.verwaltung.uni-freiburg.de/servuni/forschdbuni.recherche0?xmldokumentart=Bibliotb&lfdnr=841&sprache=D&Layout=uni&Ausgabeart=bs&Rahmen=1&CSS=http://forschdb.verwaltung.uni-freiburg.de/uni2002/content.css&Variante=2

[2] https://www.researchgate.net/profile/Markus-Sanke

[3] https://univis.uni-bamberg.de/form?dsc=anew/lecture_view&lvs=guk/denkmal/lehrst/archol_0&anonymous=1&ref=tlecture&sem=2019s&tdir=guk/denkmal/abteil_1/archol/vorles

[4] https://www.buecher.de/shop/buecher/geschichte-entdecken-2-lehrbuch-schleswig-holstein/brueckner-dieterkuemmerle-juliansanke-markusstello-benjamin/products_products/detail/prod_id/47348088/

[5] https://www.ccbuchner.de/reihe/buchners-geschichte-oberstufe-ausgabe-nordrhein-westfalen-321

[6] https://antaios.de/buecher-anderer-verlage/aus-dem-aktuellen-prospekt/149113/meine-politischen-gedanken

[7] https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/verfassungsschutz-institut-fuer-staatspolitik-ist-rechtsextrem-17570482.html

[8] https://www.hagalil.com/2022/08/maurras/

[9] https://www.youtube.com/watch?v=YQfBMwnvkLw

[10] https://sezession.de/65847/einladung-zum-sommerfest-nach-schnellroda

[11] https://www.flickr.com/photos/194770195@N04/52012958556/in/album-72177720298201538/

weiterführende Literatur (Auswahl):

Archäologie und Nationalsozialismus, Karrieren in der BRD:

U. Halle, „Die Externsteine sind bis auf weiteres germanisch!“. Prähistorische Archäologie im Dritten Reich. Sonderveröff. naturwiss. und hist. Ver. Land Lippe 68 (Bielefeld 2002).

A Leube (Hrsg.), Prähistorie und Nationalsozialismus : die mittel- und osteuropäische Ur- und Frühgeschichtsforschung in den Jahren 1933-1945. Stud. Wissenschafts- und Universitätsgesch. 2 (Heidelberg 2002).

Focke-Museum, Graben für Germanien. Archäologie unterm Hakenkreuz (Stuttgart/Bremen 2013).

o. A., Eine hervorragend nationale Wissenschaft. Deutsche Prähistoriker zwischen 1900 und 1995. Erg.-Bd. RGA 29 (Berlin 2001).

Archäologie, Neonazis, Neuheiden, Reenactment:

K. Banghard, Nazis im Wolfspelz (2016).

D. Mölders/R. Hoppadietz, “Odin statt Jesus!” Europäische Ur- und Frühgeschichte als Fundgrube für religiöse Mythen neugermanischen Heidentums. Rundbrief AG TidA 6/1/2007, 32-48.

“Institut für Staatspolitik” und Umfeld:

der rechte rand (Hrsg.), Das IfS. Faschist*innen des 21. Jahrhunderts. Einblicke in 20 Jahre »Institut für Staatspolitik« (Hamburg 2020).

V. Weiß, Ein Fall für den Geheimdienst, 2020.

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Ein Gedanke zu „Die Archäologie in Deutschland – immer noch nicht entnazifiziert. Ein neuer Fall.“

  1. Sehr geehrtes Kropotkin,
    vielen Dank für diese Einsicht!
    „Der Schoß ist fruchtbar noch aus dem dies kroch“
    um es mit Brecht zu sagen.
    Interessant ist allerdings, dass sich da ein PD
    auf seiner researchgate-seite als „Professor“
    führen lässt
    https://www.researchgate.net/profile/Markus-Sanke
    und dann als Logo dazu ein auf rechts gespiegeltes
    und rot hinterlegtes Foto von Robert Capa
    https://de.wikipedia.org/wiki/Robert_Capa#/media/Datei:RobertCapabyGerdaTaro.jpg
    benutzt.
    Gruß GR

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